Freitag, 14. Juli 2006
Suedstadtnovelle Teil2
... Trotz der vielen merkwürdigeiten war die suedstadt für mich immer ein freundlicher ort. im sommer war es warm, die sonne schien und ein lauer wind brachte den geruch von gegrilltem mit sich. In der Eisdiele an der Ecke verkaufte die hübsche italienerin mit ihren töchtern krokantbecher und spagghettieis und der südländische akkordeonspieler von der fußgängerzone,der gegenüber wohnte, setzte sich gelegentlich vor seine haustüre und spielt seine lieder.
Die Damen vom Salong Rosie kamen manchmal zum rauchen vor die Türe, wenn gerade kein Kunde da war und die nachbarsmädchen spielten verstecken. Hinter der faltigen Rinde des Baumes lugte eine Locke hervor und verriet die zu suchende . an diesen tagen liebte ich es durch die strassen zu schlendern und den schattenspielen der blätter am boden zuzuschauen. vor der kirche (kirchen sind hier übrigens fast so häufig wie kioske) konnte man dabei schon mal eine perle von einem brautkleid finden oder eine zerbrochene audiokassetten, deren band sich oft im nächsten gebüsch verfangen hatte. mein spaziergang endete dann meißt vor dem theater am grossen platz, wo die älteren herren gerne boule spielten und man sich am grossen rund des sprigbrunnenbeckens niederlassen konnte. Hier konnte man auch mal ein buch lesen oder einfach dem langsamen treibern der
spieler zuschauen. so friedlich und ruhig war diese stadt. je mehr ich mich aber meiner geschichten und erlebnisse erinnere je düsterer und skurriler sind die bilder und der gesammteindruck.

04 Der Nachbar

Unten im Haus wohnte ein kleinerer mann mit zottigen haaren und wildem bartwuchs. sehr zurückhaltend und scheu. bei einem der seltenen treffen im hausflur kamen wir dann doch ins gespäch. er erzählte er sei friedhofsgräber und dafür zuständig gräber auszuheben und zu verschieben. er schaute mich aus seinen kleinen augen an und lächelte leise. irgendjemand müsse den job ja machen. dass er in völliger isolation lebte und keine freunde hatte, wegen des unangenehmen geruches der toten, den er
nicht aus seinen klamotten und von der haut bekam, nahm er hin. seine geschichten riefen horrorfilm scenarien vor meinem inneren auge hervor: nebel über den leichten hügeln des friedhofs. kreuze stehen umher und alte knorrige bäume lassen ihre wurzeln
über die steine wachsen. der vollmond steht am himmel und im führerhaus des kleinen baggers brennt ein schwaches licht. mein nachbar mit seinem kollegen hebt gerade ein grab aus. das macht er nachts, damit kein friedhofsbesucher die schrecklichen szenen mitansehen muss. je nach alter der gräber und nach beschaffenheit des bodens ist mehr oder weniger vom sarg und dem toten selber übrig... mit seilzügen werden sie aus den gruben geholt und auf einen kleinlastwagen gelegt - wenn sie dabei nicht zerbrechen...
mich erschauert es. habe wirklich geglaubt das sei nur in horrorfilmen so. die wirklichkeit ist manchmal schlimmer - oder immer? nach unserem gespräch treffe ich manchmal wieder, wie er gebückt und erschöpft nachts von der arbeit heimkommt.


05 Der Bandoneonspieler

seit ich einmal im jugendorchester mitgespielt habe habe ich einen lebenslangen ohrwurm: brahms ungarische tänze. das merkwürdige ist, das der akkordeonspieler immer eben diese melodie anstimmt, wenn ich vorübergehe. als ob er meine affinität zu diesem lied kennen würde. vielleicht hab ich ihm aber auch mal geld gegeben dafür und er merkte sich das. oder aber er spielt dieses lied auch am liebsten und ihm geht es wie mir.
beim WM spiel wohnte er dem spiel brasilien gegen frankreich bei. hatte, so schien es, keine ahnung, kam auch eher zufällig vorbei, regte sich dann aber so darüber auf dass brasilien verlor, dass er sein ganzes selbstmitgebrachtes bier auf dem tresen des cafes verschüttete, zum ärger des erstaunlich gelassen wirkenden barkeepers.

06 der Bettler

in der Fußgängerzone sitzt, vor meinem lieblingshaltepunkt, dem buchladen immer ein bettler. er trägt eine grüne regenjacke und eine in jamaika farben gestickte mütze; hat einen langen bart und schaut in der regel ganz entspannt dem treiben zu. manchmal schält er sich ein ei und isst es genüsslich mit salz und pfeffer bestreut. wenn es regnet bleibt er einfach sitzen. obwohl er, wenn er sich nur zwei meter zurücksetzen würde, unter einem dach im trockenen wäre. im vergleich zu der alten frau die mit kind auf der fußgängerzone bettelt, sieht er nicht wirklich unglücklich aus. im gegenteil. aber ihn habe ich auch bisher noch nicht von einem dicken s-klasse mercedes abholen sehen, die frau hingegen schon.