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Donnerstag, 13. Juli 2006
suedstadtnovelle Teil1
STORY,sputnic_nils, 22:43h
Es war mitte november als ich in die südstadt zog.
der himmel war grau, das wenige laub, das noch an den bäumen hing wurde vom wind und andauerndem nieselregen zu akrobatischen leistungen gezwungen. die autos fuhren fast den ganzen tag mit licht und die wenigen passanten auf der strasse versteckten sich unter regenschirmen.
der umzugswagen hielt direkt vor dem haus. der alte 3stöckige jugendstilbau reihte sich nahtlos in die Häuserzeile der langen strasse ein. ich vermisste die farben. die äste der alten platane reichten bis an die
fenster im dritten stock, wo zeitungen vor die fenster geklebt waren. dort würde ich einziehen... ich wischte mir den feuchten film vom gesicht, den der regen beim hinaufschauen hinterlassen hatte und öffnete die wagentüren um meine wenigen sachen auszuladen.
Das treppenhaus war eng und kaputt. jedoch sah es so aus als würde gerade ein neues geländer eingbaut, ein neuer boden verlegt und die wände neu gekalkt werden. leider stellte sich später heraus das diese baustelle für immer eingerichtet sein sollte. im dritten stock angekommen wunderte ich mich über die neuen türen, die allerdings nicht in die alten rahmen hineinpassten und unten einen 10cm breiten spalt hatten. die überlegung wie ich diese lücke schliessen könnte, um nicht dauerhaft erkältet zu sein verschob ich auf später.
die wohnung war klein aber doch schöner als ich es noch im treppenhaus erwartet hätte. die holzdielen knarrzten beim drübergehen und die glühbirne, die an einem langen kabel von der decke hing tauchte das ganze zimmer in ein warmes licht.
als ich alle meine sachen hochgetragen hatte, setzte ich mich erstmal auf den fußboden und zündete mir eine cigarette an. die heizung funktionierte und langsam wurde es warm. ermüdet vom umzug nickte ich ein wenig ein. plötzlich wurde ich von einem lauten geräusch geweckt. in furchtbarstem unvermögen spielte jemand laut und schief trompete. panisch überlegte ich wie das jemals aushalten sollte einen trompetenanfänger nebenan wohnen zu haben, da hörte es auch schon wieder auf. dieses spiel ereignet sich jeden tag um die selbe uhrzeit. ich habe bis heute nicht rausfinden können wer der trompeter ist; und mittlerweile ist mir sein spiel ein fester punkt am tag geworden. nachdem ich feststellte, daß es keinen starkstrom für den herd gibt, die telefonleitung nur manchmal anrufe durchlässt, mal alle gewählten nummern als besetzt anzeigt und die haustüre mit einem kräftigen ruck von jedermann zu öffnen ist, stellte ich mich auf einen anstrengenden winter ein.
was mich aber am meisten an der südstadt verwunderte waren die gestalten denen ich bei meinen wanderungen durch mein viertel immer wieder begegnete.
01 Drakula
Meine erste begegnung hatte ich gleich mit dem merkwürdigsten aller charaktere. ich war gerade auf dem weg zu einem der unzähligen Kiosks in dem viertel als ich erstarrte. vor mir war gerade ein mann mit einem riesigen schäferhund auf meinen gehweg eingebogen. seine kleider waren zerlschlissen, doch stilvoll ausgewählt, mit fell gefüttert und über den
großen mantelkragen fielen seine langen haare. auf dem kopf trug er einen alten zylinder und im gesicht erkannte man einen ordentlich rasierten, eometrischen bart unter den dreitagebartstoppeln. Und dann trug er noch diese halterlose Brille mit blauen Gläsern.
meine erste assoziation war gary oldmans rolle in Coppolas drakula-verfilmung... erst als er an mir reaktionslos vorbeigeschlichen war - sein gang hatte etwas von schleichen in seinem schlurfen - bemerkte ich dass ich immernoch am selben fleck stand und ihn die ganze zeit angestarrt haben musste... verschämt ging ich in den eingang vom kiosk.
02 der pizzabäcker
es war ungewöhnlich voll in meinem stammkiosk, in dem eigentlich immer nur eine fussballgeräuschkulisse, von dem hinter dem tresen verstecktenFernseher zu hören war. zwei männer in anzügen und der dicke pizzabäcker von der pizzaria mit den zweitleckersten pizzen in meiner umgebung - ich kann pfannenpizza nicht leiden - so kann ich nicht die pizzaria direkt in
der seitenstrasse bei mir nehmen, sonden muss immer etwas weiter gehen um meine favorisierte steinofen pizzen zu bekommen. der laden mit den leckersten pizzen war jedoch am weitesten weg und so ging ich also meistens aus faulheit zu diesem dicken pizzabäcker, der jetzt mit mir im kiosk stand. ich hatte gerade ein gespräch gestört. ich hörte nur wie der
kioskbesitzer immerwieder murmelte er hätte diesmal kein geld. der pizzabäcker - diesmal übrigens nicht in t-shirt und schürze war sehr erregt. zwischen seinen ausführungen auf italienisch hörte ich immerwieder
deutsche worte wie sicherheit, grosse probleme, nachspiel und er wäre doch sein freund... ich zahlte meinen tabbak an den verschüchterten kioskbesitzer und verliess schnell den laden. kaum vor der tür merkte ich das das gespräch wieder heftiger wurde. ich blickte nocheinmal hinein, unschlüssig was ich tun sollte, entschied mich dann aber doch fürs nach
hause gehen. mein italienisch war nicht gut genug um mir von der situation eine wirkliche meinung bilden zu können...
03 eines nachts, ich kam gerade von einer grossen überstundenschicht nach hause, sitzt ein mann in meinem alter vor meiner haustüre und weint. nach
einem merkwürdigen, langen moment in dem ich zögere an ihm vorbei in meine wohnung zu kommen und indem er sich fragt was ich von ihm will, fangen wir gleichzeitig an zu sprechen: ich ihm sagend dass ich hier wohne, er mich fraged ob ich hier wohne... beide halten wir für einen bruchteil einer sekunde amüsiert inne. er hatte die fassung wieder gefunden und fragt mich ob ich ihm was zum kiffen geben könnte oder wenigstens ne zigarette. ich biete ihm meinen tabbak an. ich frage ihn ob ich sonst noch helfen könnte
und ob alles in ordnung sei. er deutet nur auf die kleine schäbige kneipe gegenüber und sagt seine freundin sei da reingegangen. und diese kneipe sei
der zuhälter treffpunkt der südstadt. ungläubig wehre ich ab. er hatte noch kommen wollen um sie aufzuhalten, doch nun sei es sicher zu spät. jetzt
bliebe ihm nurnoch warten. aus geldnot wolle sie anschaffen gehen. ich beruhige ihn so gut ich kann, meine dass das ja wenigstens nur zuhälter und
keine kunden seien - doch er entgegnet dass das eben noch viel schlimmer sei... ich setzte mich noch eine weile zu ihm und beobachtete die mir so
normal vorkommende kneipe. ich male mir die zwielichtigen gestalten aus, die dort verkehren, die ich aber nie gesehen oder erkannt hätte... nach einer weile - ich kann vor müdigkeit kaum noch die augen offenhalten verabschiede ich mich. ich liess ihm noch etwas tabbak da und ging in meine wohnung.
mittlerweile ist die kneipe geschlossen. mir ist aber weder der grund bekannt noch ist sie mir in irgendeiner weise später nochmal aufgefallen. den jungen mann hab ich nich wieder gesehen
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angeschnorrt werden
STORY,sputnic_malte, 21:28h
An der Ecke beim Plus sitzen fünf arbeitslose Polen und trinken Weisswein aus Tetrapaks. Sie schicken einen Taubstummen vor, der wild gestikulierend um eine Zigarette bittet. Als ich ihm eine gebe, werde ich von den anderen umringt. Die kriegen auch eine. Dann ist meine Packung leer.
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10 Fragen an die Menschen aus der Südstadt
STORY,sputnic_malte, 21:03h
01 Wieviel darf ein Döner kosten?
02 Darfst denn du schon rauchen?
03 Ist das eigentlich dein Fahrrad?
04 Sollen die Ithaker alle wieder abhauen? Oder die Türken oder die Neger oder die Deutschen?
05 Ist die Stütze schon da?
06 Haste mal nen Euro?
07 Plus oder Extra?
08 Habt ihr auch Mekka-Kola?
09 Hat deine Anlage auch nen Aus-Knopf?
10 Wo hast du denn DIE abgefahrenen Klamotten her?
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Dracula
STORY,sputnic_malte, 20:44h
Er muß es wirklich sein, der finstere Fürst aus Transsylvanien. Er trägt Ledermantel, -stiefel, Zylinder und eine Brille mit blauen Gläsern, Gehstock mit Elfenbeinknauf. Sein Riesenköter ist immer dabei und er schimpft gerne auf die Scheisstürken.
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Griechischer Kiosk
,sputnic_malte, 20:42h
In der Tür vom Kiosk ist eine ca 70*40 cm grosse Öffnung mit kleiner Theke, den Besitzer sieht man bauchnabelaufwärts bis knapp zum Kinn.
"2 Pils"
"2 Euro"
Euros hingelegt, Hand nimmt Euros, 2 Hände reichen Bierflaschen.
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Gestalten
STORY,sputnic_malte, 20:40h
Ungefähr dreimal faährt der Typ auf seinem Moped an uns vorbei, im Abstand von ca 10 Minuten.
An seinem Moped ist ein Anhänger, darauf ein Stuhl mit roter Sitzfläche.
Wozu diese Demonstration? Ist der Stuhl zu verkaufen oder der Typ der Meinung, seine Großmutter sitze noch drauf? Muß allen gezeigt werden, der Stuhl.
Auf der anderen Straßenseite steht ein kleiner Mann, knautschiges Gesicht, Feinripp-Unterhemd und eine knallorange Fliegersonnenbrille.
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Mittwoch, 12. Juli 2006
Der Pager-Mann
,sputnic_malte, 20:21h
Papageienbunte Kleidung, Brille mit farbigem Gestell, saß der Mann im gegenüberliegenden Vierer der Straßenbahn.
Erst auf den zweiten Blick erkannte ich, dass die Dinger, die er umhängen hatte, Pager waren.
Ich zählte nach und kam auf acht Pager, die er allein über der Kleidung trug.
Auf was für einem Film der wohl hängengeblieben ist...
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DER ANFANG: Mein erster Tag in der Südstadt
STORY,sputnic_malte, 20:19h
Ich ging in die Südstadt, um mir eine Wohnung anzuschauen. Ich war vorher noch nie da gewesen, meine Erwartungen waren weder groß noch klein.
Am Paltz hinter der Haltestelle stand eine Frau in kerzengerader Haltung, den Kopf emporgereckt. Die Ellenbogen eng am Körper spreizte sie ihre Unterarme in einer kreuzigungsähnlichen Haltung ab, in der linken Hand hielt sie ein Herren-Feinripp-Unterhemd.
Als ich später zurückkam stand sie immer noch da.
Ein unrasierter Mann kam auf mich zu und erzählte mir in gebrochenem deutsch, die Frau sei seine Ärztin in Bosnien gewesen.
Ich verließ die Südstadt mit gemischten Gefühlen.
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Montag, 10. Juli 2006
Zur Tanke gehen
,sputnic_malte, 10:31h
3 Uhr 30 Blick durch Jalousienspalten in eine Erdgeschoßwohnung, kaltes Neonlicht. Ein Pärchen streitet sich in einer osteuropäischen Sprache, Kindergeschrei. Vielleicht sind sie davon wach geworden? Oder der Mann ist besoffen nach hause gekommen. Oder die Frau?
Ich überlege, wie lange sie schon hier sein mögen, verzweifelt in einem fremden Land zwischen Umzugskartons.
Auf dem Weg zurück ist das Licht aus.
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Afrikanischer Kiosk
,sputnic_malte, 10:31h
Unglaublich, wie lang man brauchen kann, um den Preis für 4 Bier, eine Schachtel Zigaretten, Feuer und ein Snickers auszurechnen.
Ausser mir hats im afrikanischen Kiosk und Telefoniershop keiner eilig. Das Palaver auf Padwa oder Französisch mit dem Kollegen, der zu Besuch ist, ist auf jeden Fall wichtiger.
Als deutscher Effizienz-Fanatiker geh ich denn doch zum italienischen Kiosk nebenan.
Ausser nach 11, da verkaufen die Afrikaner noch hinter geschlossenen Rolläden.
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Deutsches Pärchen
STORY,sputnic_malte, 10:30h
Er, Jogging-Hose, knallgelbes Käppi und den Kinderwagen schiebend, brüllt zu ihr, die an der nächsten Strassenecke steht:
"Haste Geld?"
"Ja.."
"Warum holste dann nich was beim Bäcker? Bist du behindert?!"
"Du bist behindert!! Der Bäcker hat zu!!"
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Bisexuelle kommunistische Iraner
STORY,sputnic_malte, 10:30h
Ich saß im Stadtgarten, als ein dicker und ein schmächtiger Typ mir zunächst einen Schluck Bier und dann eine Tüte anboten. Ich war entspannt und sorglos und zog mit ihnen los an eine ruhigen, ungestörten Platz. Die Tüte wurde gebaut, geraucht, und der Dicke erzählte, dass der schmächtige vor Jahren aus dem Iran hatte fliehen müssen, weil er Kommunist war. Nun lebe er in Deutschland und sei mit einer Iranerin verheiratet. Bald stockte das Gespräch, und der Dicke fragte mich, ob der Iraner mir einen blasen dürfe.
Ich lehnte dankend ab, worauf, der Iraner anfing zu weinen.
Zeit zu gehen.
Der Dicke lief noch ein Stück neben mir her und meinte: "Der war dir zu direkt, oder?" und später andeutungsvoll: "Ich habe ja zwei Wohnungen in dieser Stadt?"
Zeit noch einen Schritt schneller zu gehen.
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Mein Vermieter
STORY,sputnic_malte, 10:29h
Mein Vermieter ist ein Herr um die 65 Jahre. Oft sieht man ihn mit gebeugtem Gang, schütterem und zerzaustem weißem Haar, Brille mit seinem Shopping-Trolley auf dem Weg von oder zu seinen zahlreichen Besorgungen. Er trägt Hosen, die oft schon etwas flecking sind, Hemd, beigen Trenchcout und einen braunkarierten Hut. Wenn man sich mit ihm im Treppenhaus unterhält, ist er meist gerade auf dem Weg zum Klever Friedhof. Dort liegen seine Eltern begraben, die ihm das Haus vererbt haben. Bis auf seine Zeit im Musikstudium hat er vermutlich immer in diesem Haus gelebt, seine zwei Wohnungen quellen über von Möbeln, Akten und Noten.
Auf dem Klingelschild zu seiner zweiten Wohnung steht "Harmonielehrestudio".
Wenn man die Unterhaltung mit Herrn B beenden will, muß man einfach weitergehen, man hört dann noch Herr Bs "Ja Ja"a und "Ach ach". Er kennt es wohl gar nicht mehr, Gespräche normal zu beenden.
Gar nicht so selten hat Herr B Damenbesuch, auch zu später Stunde. Der Putzhilfe gibt er Gesangsunterricht.
Auch wenn er einen ziemlich verwirrten Eindruck macht, kümmert er sich einigermaßen um das Haus, und wenn es darum geht, die Versicherung zu bescheißen, blitzt Bauernschläue in seinen Augen auf.
Was ist das 'Wagner-Projekt', das er öfter erwähnt?
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Lemmi Der Mann wo auf der Strasse sitzt
STORY,sputnic_malte, 10:29h
Nennen wir ihn Lemmi.
Kurz gebaut, speckige Lederjacke, Stiefel, Vollbart mit großem Schnäuzer, schwarze Haare auf der knolligen Nase Riesige Fliegersonnenbrille, schwarz, Rocker-Blechhelm auf dem Kopf. Gegen Mittag kreuzt er mit seinem uralten 50er Moped auf und setzt sich auf einen Stuhl vor das Internetcafe Gladbacher 240. Egal ob man beim kommen und gehen grüßt, das wetter toll ist oder nicht so toll, kriegt man immer die gleiche Antwort, und die heißt "Jou!".
Warum sitzt er eigentlich jeden Tag dort vor dem Haus, meist alleine? Seine Wohnung ist ja offensichtlich woanders.
Manchmal hat er auch einen Schlapphut auf, mit dem er Räuber Hotzenplotz nicht unähnlich sieht, und neulich stand er mit Pickelhaube vorm Schlecker.
Ein bis zweimal am Tag bläst er auf einen Plastikrohr einen Fanfare.
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